Einführung
Die Anamnese: Fakten, Fallen und Beziehung
Die ausführliche Anamnese hilft, Ursachen von Beschwerden einzugrenzen, mögliche Komplikationen zu erahnen (Allergien, Unverträglichkeiten) und die Lebenswirklichkeit der Patient*innen zu erfassen. So ergeben sich bereits im Gespräch wichtige Hinweise für die sich anschließende körperliche Untersuchung. Darüber hinaus bildet die Anamnese die Grundlage einer guten Beziehung zwischen Ärzt*innen und Patient*innen.
Autor*innen: Klaus Böhme, Bert Huenges, Irmgard Streitlein-Böhme
Die Studierenden lernen bis zum 1. Semester des 2. Studienabschnitts:
– eine strukturierte Anamneseerhebung an praktischen Beispielen zu demonstrieren.
– die wichtigsten bei der Anamnese erhobenen Daten Dritten (z. B. Kommiliton*innen) komprimiert und strukturiert wiederzugeben.
– eine Anamnese auf geeignete Weise zu dokumentieren.
Allgemeine Vorgehensweisen und Vorstellung
– Sorgen Sie für eine ruhige und vertrauensvolle Atmosphäre.
– Begrüßen Sie den*die Patient*in und stellen Sie sich zunächst mit Namen und Funktion vor.
– Fragen Sie den*die Patient*in nach Namen und Alter und sprechen Sie ihn/sie persönlich an. Achten Sie in der Sprache auf eine altersgerechte Wortwahl.
– Stellen Sie zunächst offene Fragen und hören Sie dem*der Patient*in zu. Lenken Sie das Gespräch durch Zwischenfragen auf einzelne, für Sie wichtige, noch nicht erwähnte Punkte. Hierbei können auch geschlossene Fragen zur Anwendung kommen.
– Halten Sie Blickkontakt.
Hinweis: Die Dokumentation sollte während des Gesprächs nur in Stichwörtern erfolgen. Danach kann sie vervollständigt werden!
Allgemeine Anamnese
– Name und Alter?
– Angehörige/Personen, die informiert werden sollen?
– Behandelnde Hausärzt*in?
Vorstellungsgrund → Was führt Sie zu uns?
Leitsymptome → Welche Beschwerden stehen aktuell im Vordergrund?
Dauer der Beschwerden → Wie lange? Wann begonnen? Wie oft? Verlauf?
Stärke der Beschwerden → Wie stark? Gleichbleibend?
Qualität der Beschwerden → Wie beschaffen? Gleichbleibend?
Lokalisation der Beschwerden → An welcher Stelle? Ausstrahlend?
Auslöser der Beschwerden → Wobei? Wodurch ausgelöst?
Vorgeschichte
– Welche Vorerkrankungen sind bei Ihnen bekannt?
– Sind Sie schon einmal operiert worden?
– Waren Sie schon einmal im Krankenhaus?
– Nehmen Sie regelmäßig Vorsorgeuntersuchungen wahr?
Medikamentenanamnese
– Welche Medikamente nehmen Sie zurzeit ein? Nehmen Sie diese regelmäßig?
– Haben Sie früher regelmäßig Medikamente eingenommen?
Allergien
– Sind bei Ihnen Allergien bekannt?
– Sind Unverträglichkeiten von Nahrungsmitteln bekannt?
– Sind Medikamenten- oder Kontrastmittelallergien bekannt?
Verdauung und Stoffwechsel
– Wie ist das Gewicht?
→ Zu-/Abnahme, wieviel, in welcher Zeit?
– Wie ist der Stuhlgang beschaffen? Bestehen Stuhlunregelmäßigkeiten, Durchfall oder Verstopfung?
– Fragen nach Farbe, Beschaffenheit, Frequenz
– Haben Sie Blutauflagerungen auf dem Stuhl bemerkt?
– Haben Sie Beschwerden beim Wasserlassen?
– Leiden Sie unter Übelkeit oder Erbrechen?
→ Fragen nach Farbe, Beschaffenheit, Frequenz, zeitlichen Zusammenhängen
– Wie ernähren Sie sich (z. B. vegetarisch, vegan)?
B-Symptomatik (= Fieber, Nachtschweiß und Gewichtsverlust)
– Haben Sie Fieber oder erhöhte Temperatur?
– Schwitzen Sie viel, besonders nachts?
→ Hinweis: Nachtschweiß besteht, wenn der*die Patient*in morgens nass geschwitzt ist und/oder die Bettwäsche wechseln muss.
– Haben Sie in letzter Zeit an Gewicht verloren? Wenn ja, wieviel? Über welchen Zeitraum?
Schlaf
– Nehmen Sie Schlafmittel?
– Haben Sie Ein- oder Durchschlafstörungen?
– Besteht nächtliches Wasserlassen? → Wenn ja, wie oft?
Drogen
– Rauchen Sie? Was, wie viel und seit wann? → Dokumentation in „pack-years“: 1 py = 1 Schachtel/Tag über 1 Jahr
– Trinken Sie regelmäßig Alkohol? → Welche Getränke und wie viel?
– Nehmen Sie andere Drogen? → Wenn ja, was und wie oft?
Sexualverhalten
– Haben Sie regelmäßigen Sexualverkehr und/oder wechselnde Sexualpartner*innen?
– Verhüten Sie dabei? Wenn ja, wie?
– Haben Sie dabei Schmerzen? Andere Symptome im Genitalbereich?
Soziale Umgebung
– Beruf, Schulausbildung, Familienstand und Kinder, Hobbys?
– Bei älteren Patient*innen oder Patient*innen mit Behinderung: Wie ist die Person versorgt (z. B. lebt selbstständig oder wird von Angehörigen versorgt, etc.)?
– Wohnsituation (z. B. Altersheim, betreutes Wohnen; im Haus selbst: Anzahl der Treppenstufen, Ausstattung des Hauses mit Aufzug)?
Psychisches Befinden
– Stimmungsschwankungen, familiäre oder berufliche Probleme
– Beeinträchtigung durch die Beschwerden, Einschränkung von Aktivitäten des täglichen Lebens, Einschränkungen bezüglich der Versorgung
Familie
– Krankheiten der Mutter und des Vaters? Bekannte vererbbare Erkrankungen anderer Blutsverwandter, z. B. der Großmutter, des Großvaters oder der Kinder
→ Insbesondere Diabetes, Bluthochdruck, Schlaganfall, Herzinfarkt, Krampfleiden, Krebs, Demenz
Besondere Anamnesesituationen
Die Studierenden lernen bis zum 1. Semester des 2. Studienabschnitts:
– besondere Anamnesesituationen dem*der einzelnen Patient*in und der Untersuchungssituation anzupassen.
Anamnese bei Kindern
– Schwangerschaft und Geburt
– Vorsorgeuntersuchungen
– Impfungen
– Ernährung
– Motorische Entwicklung
– Geistige Entwicklung, Schulform
– Soziale Entwicklung
– Kinderkrankheiten
Gynäkologische Anamnese
– Zyklusanamnese, Sexualanamnese (siehe auch „Vegetative Anamnese“)
– Verhütungsmethoden, Hormoneinnahme
– Geburten, Aborte
– Menarche, Menopause
– Vorsorgeuntersuchungen wahrgenommen? Wann war die letzte?
– Selbstuntersuchung der Brust
– Ausfluss, Juckreiz und/oder Schmerzen beim Geschlechtsverkehr
Fremdanamnese
– Beziehung der befragten Person zum*r Patient*in
– Von Patient*in geäußerte Beschwerden
– Beobachtungen der befragten Person
– Beobachtungen von Dritten
– Versorgung des*der Patient*in
– Sorgerecht / Betreuungsverfügung / Patient*innenverfügung
– Versorgung nach der Behandlung: Pflegegrad, Heim etc.
Weiterführende Informationen: patientenzentrierte Konsultation
Ein 7 minütiges Video zur patientenzentrierten Konsultation nach der 5-Karten Methode.
(Artikel: Five cards: a simple guide to beginning the consultation)
This video explains the five cards method with helps to improve patient-centredness in the medical consultation. It can lead to better accurancy of diagnosis and therapy, higher patient-satisfaction and a higher degree of professional fulfillment.
(Article: Five cards: a simple guide to beginning the consultation)